Und wieder sind einige Tage vergangen. Kurz vor Weihnachten bekomme ich Besuch. Der möchte mein Buch haben. Ich habe die Möglichkeit genutzt und Kriegertränen noch einmal überarbeitet. Nicht, dass das jetzt unbedingt nötig war. Ich wollte es so und habe brav alle fehlenden Fragezeichen eingesetzt. Ja, ich gebe es zu, ich wusste nicht, dass man bei einer Frage, wenn danach ein Komma kommt, trotzdem das Fragezeichen eingesetzt werden muss.
„Wer bist du“, frage ich. „Wer bist du?“, frage ich. – So muss es sein, musste ich mir von meiner privaten Lektorin sagen lassen.
Und ganz ehrlich? Es hat mich dann doch gestört und als Herr Bieter mir sagte, dass ich noch etwas ändern kann, habe ich mir die Arbeit gemacht.
Den zweiten Teil habe ich mir ausgedruckt und bin schon auf Seite 276. Trotz allem habe ich noch hier und da etwas übersehen. So in Buchform liest man anders, wie am PC. Dann werde ich alles noch im Dokument am PC ändern und im Januar nehme ich den zweiten Teil in Angriff. Denke, dass der dann so Februar/März 2016 erscheint. Ein Himmelbild muss ich auch noch machen, für das Buchcouver.
Ich habe sogar ein bisschen in meiner Biografie weiter geschrieben und mir gedacht, dass ich sie bis zu meinem 21zigsten Lebensjahr aufschreibe. Zu meiner Zeit war man erst dann volljährig. Leider!
Ich habe mir auch gedacht, dass ich heute zwei Leseproben reinsetze, weil bald Weihnachten ist.
Heute habe ich für zwei Leute in der Buchhandlung mein Buch Kriegertränen bestellt. Ja, das ist so, da diese Leute nicht bei Amazon bestellen.
Ich wünsche allen erholsame Feiertage, einen stressfreien Rutsch in das neue Jahr und ich bin 2016 auch wieder hier.
Die Rechte an den nachfolgenden Leseproben liegen bei M.L.Giesen.
Leseprobe aus Teil 2, KRIEGERMUT (ab 16) Seite 1- 6
Ich gehe zurück zu den Ställen und folge dem leicht ansteigenden Marmorweg. Unten ist er auf beiden Seiten von grünen Weiden umgeben, auf denen sich Stuten mit ihren Fohlen tummeln. Weiter oben ziert ein grüner Rasen den Weg, wo sich an seinem Rand das Rot der Blumenbeete abhebt.
Ich bleibe stehen und blicke zurück zu dem Fluss, dessen Wellen sanft das Ufer dieser Insel umspülen. Der Barde hat mir erzählt, dass er sich um sie schlängelt, bevor er für eine kurze Strecke unterirdisch weiter fließt. Mein Blick gleitet über die Brücke hinüber zu der Stadt. Sie präsentiert sich mir von hier in einem ganz anderen Gewand.
Ich muss an Frankanas denken, der auf dem Weg nach Hause ist. Er war in den letzten Tagen freundlich zu mir. Ob er froh ist, mich los zu sein?
Als ich Schritte hinter mir höre, drehe ich mich um und bin erstaunt, in den vier Kriegern die Sänftenträger zu erkennen, die ich damals sah, als ich in diese Stadt kam. Ihre Gegenwart flößt mir Unbehagen ein. Sie bleiben schweigend stehen und warten auf mich. Zögernd folge ich ihnen auf ein Tor zu.
Argwöhnisch betrachte ich das zur Hälfte geöffnete Silbertor in der hohen Steinmauer, die sich nach beiden Seiten um ein Anwesen erstreckt. Vorsichtig schreite ich hindurch und blicke auf fremde Runen, die auf der Innenseite des Tores in dem Silber eingebrannt sind. Etwas Kaltes geht von ihnen aus und ich wende mich ab.
Die unangenehmen Blicke meiner Begleiter spüre ich im Rücken, da ich vor ihnen hergehen muss und sie mir wie stille Schatten folgen. Wir kommen auf einen großen Hof, dessen Seiten von Ställen umgeben sind, aus denen ich das Wiehern von Kampfrössern höre. Diese stolzen Tiere kenne ich und es tat mir in der Seele weh, wenn ich sie auf dem Schlachtfeld töten musste. Sie hier zu sehen, das habe ich nicht erwartet.
Durch das nächste offen stehende Tor kommen wir in einen kleinen Tunnel, der unter den Ställen durchgeht. Die Wege unter der Erde hasse ich, sie geben mir das Gefühl, lebendig begraben zu sein. Ich bin in Schweiß gebadet, als ich zu einer steilen Treppe gelange, die mich wieder an das Tageslicht bringt.
Wir sind auf einem großen, mit grauem Marmor ausgelegten Platz, in dessen Mitte ein Brunnen mit Figuren steht. Aus ihren Mündern ergießt sich das Wasser in das Becken. Um ihn herum stehen graue Bäume mit rotem Laub, unter denen Bänke zum Verweilen einladen.
Dann kommen wir zu einer hellen Mauer, die von dunklen Torbögen durchbrochen ist. Als ich unter einem durchgehe, präsentiert sich mir eine gewaltige Schlossanlage im Licht der untergehenden Sonne, die mit dem Leuchten der vielen Kerzen um die Wette eifert. Noch nie sah ich unter einem Himmel so viele Kerzenständer.
Mein Blick fällt auf ein einfaches Tor, über dem eine gewaltige Treppe links und rechts zu einer Terrasse hochführt. Ein schwarzes Tor mit silbernen Verschnörkelungen ist der Eingang in das Schloss.
Man geht mit mir durch das einfache Tor, wo Stufen in die Tiefe führen. Wir gelangen in einen hell erleuchteten Korridor, von dem Türen abgehen. Sie bringen mich in ein kleines Zimmer, in dem sich ein einfaches Lager befindet. Eine Kerze spendet spärliches Licht und ich sehe, dass auf dem Boden ein Krug mit Wasser steht, daneben liegt ein Stück Brot. Die Tür wird hinter mir verriegelt und ich habe das Gefühl, wieder ein Gefangener zu sein. Ich nehme das karge Mahl zu mir, bevor ich mich hinlege.
Am nächsten Tag wecken mich ungeduldige Stimmen. Meine Begleiter von gestern holen mich ab. Statt den Weg zurückzugehen, durchqueren wir mehrere Räume, bevor wir über eine andere Treppe nach oben gelangen. Wir kommen auf einen Platz, der an einem Teich endet.
Sein Wasser schwappt leicht an die Mauer eines Turmes, der sich in der Mitte befindet. Sie begleiten mich zu der kleinen Brücke, die zu seiner Tür führt, die einen Spalt offen steht. Ich gehe zu ihr, stoße sie auf und steige die Treppe hinauf.
Die weiße Wand ist glatt und ohne Verzierungen, was gerade hier in Firndorn ungewöhnlich ist. Schmale Stufen schrauben sich im Innern des Turmes um ihn herum in die Höhe. Eine gleichbleibende Helligkeit umgibt mich, obwohl ich nirgends ein Fenster sehe. Ich frage mich, was in der Mitte des Turmes sein mag, da keine Tür in einen Raum führt. Die Treppe nimmt kein Ende und in der Monotonie des Aufstiegs geht mir das Gefühl für die Zeit verloren.
Irgendwann protestieren meine Beine gegen diese ungewohnte Tätigkeit. Beim Barden im Haus gab es auch Stufen, daran lag es nicht. Diese hier sind unterschiedlich in der Höhe und teilweise brüchig. Wer steigt jeden Tag diese gefährliche Treppe hoch?
Mein Herz rast, die Enge erschwert mir das Atmen. Als ich über mir eine Öffnung sehe, bin ich mehr als nur erleichtert. Ich komme in einen runden Raum, der von offenen Fenstern umsäumt ist. Von allen Seiten strahlt mir ein blauer Himmel entgegen. Wie ist das möglich?
Ich sehe mich um und mache in der Mitte einen einfachen Thron aus. Im Boden ist ein rotes Rechteck eingearbeitet, das sich noch mal in vier kleine Quadrate aufteilt. Die Trennlinien heben sich deutlich hervor und sie dienen einem bestimmten Zweck. Ich ahne, dass es wichtig ist, den Grund dafür zu wissen. Anscheinend habe ich es vergessen.
Als ich einen Torbogen entdecke, durch den man auf eine schmale Brücke gelangt, gehe ich dorthin. Ich komme nicht weit, weil waberndes Licht mir den Zutritt versperrt.
Stattdessen gehe ich zurück in den Raum und beobachte, wie der blaue Himmel dunkler wird. Müdigkeit überkommt mich und so lasse ich mich zu Boden sinken und falle in die Klauen eines bösen Traumes. Eine attraktive Frau nimmt meine Hand und führt mich in einen weißen Kreis. Es erstaunt mich, dass ich ihr ohne zu zögern folge.
Mein Herz, mein Blut, meine Seele, all das würde ich ihr mit Freuden geben.
Sie steht vor mir, ihre grünen Augen mustern mich, und ihr langes Haar ist ihr einziges Gewand.
Wohlwollend streichen meine Augen über samtweiche Haut, als der Wind raffiniert ihr rotes Haarkleid teilt.
Der Mann in mir will sie mit jeder Faser seines Seins, als ihre sinnlichen Lippen mit verführerischen Versprechungen locken.
Der Mann in mir begehrt sie, für nichts Anderes ist Raum in seinem Kopf, als ihre Schenkel mir den Ritt des Lebens versprechen.
Der Krieger in mir zögert, doch er hat den Grund vergessen, als ihr sonnengebräunter Rücken sich in Demut vor mir beugt.
Verzweifelt forscht er nach dem, das ihm verloren ging, als ihr wallendes Haar in Ekstase meine Haut verglüht.
Der Drache in mir kann sich nicht entscheiden, als schmale, lange Finger mir das höchste Glück bescheren.
Der Drache will keine Fesseln der Sklaverei, als ihre feuchte Höhle zur Erfüllung aller heimlichen Wünsche einlädt.
Der Mann in mir erkennt die Falle nicht, als die Berührung ihrer Brüste mir alle Sinne raubt.
Der Krieger in mir flieht vor den verbotenen Früchten, als ihre lustvollen Schreie mein heißes Blut zum Kochen bringt.
Und er findet den Drachen in mir, als ihre böse Seele mich in ihr Reich entführen will.
Sie vereinen sich und steigen als Drachenkrieger aus dem Nebel des Vergessens empor,
um gemeinsam die hungrige Gier des Mannes in mir zu bekämpfen.
Stöhnend wache ich auf und wage es nicht, wieder einzuschlafen. Zu sehr hält mich das Grauen dieses Traumes gefangen. Wird die Jagd auf mich niemals enden? Tief in mir fühle ich, dass ich mein Schicksal nicht ändern kann. Ich stehe auf und eine eisige Faust greift nach mir, als sich eine Person vom Thron erhebt und ich die Frau aus meinem Traum erkenne. Obwohl ihre Stimme einen angenehmen Klang hat, läuft es mir kalt den Rücken runter.
„Drachenkrieger, gefällt dir, was du siehst? Verbünde dich mit mir. Sei der Gefährte an meiner Seite und wir können gemeinsam über den Himmel herrschen! Deine Söhne und Töchter und deren Kinder würden für uns kämpfen. Du musst nur dein Knie vor mir beugen und mir ewige Treue schwören.“
Entsetzt weiche ich zurück. Sie lacht darüber, klatscht in die Hände und es treten vierundzwanzig Jungarbinnen in den Raum. Sie alle wären mein, würden meine Kinder austragen. Ich wäre nie mehr allein, nie mehr einsam. Kein Bastard mehr! Und doch sage ich zu ihrem Angebot: „ Nein!“
Die Jungarbinnen verlassen den Raum. Zornig sieht sie mich an und schreit mit schriller Stimme: „Du undankbarer Hurensohn! Du wagst es, mich zurückzuweisen? Was ich von dir will, wirst du mir geben und dann werde ich dich entsorgen wie ein Stück nutzloses Vieh!“
Ich lasse sie schreien, drehe ihr den Rücken zu und begebe mich in Richtung Treppe. Das rote Rechteck! Es fällt mir wieder ein, als sie leise gehässig hinter mir her faucht. „Drachenkrieger, du wirst nirgends hingehen!“
Nur ist dieses Wissen jetzt für mich nutzlos. Ich befinde mich noch auf dem Rechteck, als die Quadrate unter meinen Füßen wegklappen und ich in die Tiefe falle, in einen mir unendlich erscheinenden Sturz. Nun weiß ich, was sich in der Mitte des Turmes befindet.
Diesen Gedanken finde ich etwas makaber im Angesicht der Tatsache, dass ich mit rasender Geschwindigkeit bald irgendwo aufschlagen werde. Dann muss ich mich korrigieren, denn ich falle nicht mehr, sondern ich schwebe. Irgendetwas verlangsamt meinen Sturz. Mir fällt ein, dass die Arbin noch etwas von mir will und ich ihr zerschellt am Boden nichts nütze. Aber ich bin sorglos! Was kann sie schon von mir wollen?
Unter mir sehe ich Licht und erkenne ein Netz, auf das ich zu schwebe. Mein Sturz wird wieder schneller und ich krache in das Flechtwerk, das sich daraufhin zusammenzieht und mich einschließt. Seine Maschen sind fest und ermöglichen mir kein Entkommen.
Es dauert nicht lange, als ich schnell näher kommende Schritte höre. Es sind wieder diese vier Krieger. Bevor sie mich befreien, ziehen sie meine Hände durch eine Masche und legen mir Ketten an. Danach zerren sie mich unsanft aus dem Netz und stoßen mich durch einen Erdtunnel in eine kleine Kammer, wo sie meine Hände und Füße an die Wand anketten. Einer schlägt mir mit einem gehässigen Lachen ins Gesicht.
„Du wirst noch bereuen, dass du das Angebot meiner Herrin mit den Füßen getreten hast.“ Mit schadenfrohen Gesichtern löschen sie die Kerzen und verlassen mich. In der Dunkelheit schleicht sich die Angst in meine einsame, verlorene Seele.
Am nächsten Tag, falls hier unten in der ewigen Nacht so etwas wie Tag existiert, kommen sie zurück. Diesmal tragen sie keine Rüstung, haben nur kurze Hosen an. Sie entzünden mehrere Kerzen, dessen Licht in meinen Augen brennt. Einer will mir etwas zu trinken einflößen. Ich weigere mich! Seine stahlharten Augen mustern mich kalt, als er einen dünnen Schlauch hervorholt.
Ich verstehe seine Drohung und bin nicht scharf darauf, ihn mir in den Hals schieben zu lassen. Also trinke ich und wundere mich, dass es nur sauberes Wasser ist. Gehorsam esse ich, als mich einer der Krieger füttert. Anscheinend legen sie Wert darauf, dass ich bei Kräften bleibe. Noch mache ich mir keine Gedanken. Sie werden mich foltern, um mich gefügig zu machen. Da krepiere ich doch lieber, als dieser verrückten Arbin zu dienen.
Leseprobe aus - DAS VERGESSENE KIND
Aufgeschlagene Knie und blaue Flecken waren bei mir keine Seltenheit. Immer, wenn ich es konnte, bin ich über die Wege des Waldes gerannt.Zwei hellblonde Zöpfe tanzten den Takt zu meiner Geschwindigkeit. Meinen dünnen Beinen sah man nicht die Kraft an, die in ihnen steckte. Irgendwie war ich immer auf der Flucht. Dunkle kratzige Stoffe bedeckten meinen blassen Körper, während meine blauen Augen immer auf der Suche nach etwas waren, das ich nicht in Worte fassen konnte.
Verirrte Sommersprossen bedeckten das Umfeld meiner Stupsnase und über meine farblosen Lippen kam selten ein Wort. Meine Stimme war nicht zum Reden geschaffen, und es tat weh, wenn die anderen mich wegen meines Stotterns auslachten. Also blieb ich stumm und versuchte, nicht vorhanden zu sein. Ich war ein einsames farbloses Kind, ohne die Möglichkeit, sich frei zu entfalten. Jeder Versuch, dagegen anzugehen, wurde sofort von Oma im Keim erstickt.
Doch ich wurde älter und fand meine Fluchten, wo sie mich nicht finden konnte. In den Nächten erschuf ich mir eine eigene Welt, in der ich die Fäden zog. Hier gab es keine Oma, die mir das Leben schwer machte. Hier gab es andere Gefahren, doch hier konnte ich auch kämpfen. Es gab keine Grenzen, die mich daran hinderten.
In der Nacht war ich ein Krieger und wenn morgens die Sonne aufging, dann war ich wieder ein grauer Schatten, der nur zu funktionieren hatte. Ein Kind ohne Stimme, ohne Gesicht, aber ich wusste, dass es einen Ort gab, wo alles möglich war.
Wie alles begann!
Der Winter hatte das Land fest in seinen Klauen. Die Wege waren zugeweht. Schnee knirschte unter den Schuhsohlen, als ein alter Mann das Haus verließ, um Holz und Kohlen für den Herd zu holen. Jeder, der seine Sinne beisammen hatte, blieb in der warmen Wohnstube. Die Holzdielen knarrten unter seinen Schritten, als er in das Haus zurückkam. Er brachte Schnee und einen Hauch Kälte mit in den einzigen Raum, der einen Ofen besaß.
Eine alte Frau sitzt auf dem abgewetzten Sofa und grummelt ein paar Worte, die keiner versteht. Es scheint nicht wichtig gewesen zu sein. Sie trägt ein dunkles Kleid aus schwerem Stoff, das ihr bis zur Wade reicht. Wollende lange Strümpfe bedecken ihre Beine. An den Füßen trägt sie ausgelatschte Pantoffeln und ihr langes, schon ergrautes Haar hat sie zu einem Knoten gebunden. Vereinzelte Strähnen haben sich gelöst, doch sie lassen ihre harten Gesichtszüge nicht sanfter erscheinen. Kummerfalten haben sich tief in ihr einst schönes Gesicht gegraben. Schlaff hängt ihre verwelkte Haut am Kinn herunter und sie will sich nicht an ihre schwere Jugend erinnern.
Es war damals eine andere Zeit, seitdem hat sich vieles geändert. Der Krieg nahm ihr drei Männer und nun beobachtete sie, wie ihr vierter Gatte die Herdtür öffnete und etwas Brennholz und Kohlen nachlegte. Sie ließ ihren Blick durch die Wohnstube schweifen. Neben dem Kochherd führte eine Tür in eine Schlafkammer. Jetzt war sie geschlossen, denn es entfleuchte genug Wärme durch das undichte Fenster, an dem der Wind rüttelte. Sie konnte sein Heulen bis in die Stube hören und war froh, dass sie nicht nach draußen musste. Es war nicht nötig, das Haus zu verlassen, um Kohlen aus dem Keller zu holen. Aber sie schwieg, so wie sie es schon seit Jahren tat. Irgendwie hatten sie sich auseinandergelebt und sie sprachen nur über das Nötigste.
Am Fenster stand ein alter Stuhl, in dem er oft saß und seine Pfeife rauchte. Auch jetzt hatte ihr Mann es sich darauf bequem gemacht und sah dabei aus dem Fenster, während er ihr mit seinem Qualm die Luft verpestete. Sie fragte sich, was er in dem Schneegestöber da draußen sieht. Ihr Blick fiel auf den guten Wohnzimmerschrank mit seiner Glasvitrine. Ihr ganzer Stolz waren die Sammeltassen mit ihren Tellern, die nur bei besonderen Anlässen benutzt wurden. Sie versuchte, sich zu erinnern, wann sie zuletzt ihre Tafel schmückten, aber es fiel ihr nicht ein.
Die anderen Möbelstücke wirkten schäbig gegen diesen glänzenden, rotbraunen Schrank mit seiner dunklen Maserung. Seit Jahren polierte sie ihn regelmäßig mit einer Möbelpolitur auf Hochglanz. Sie hing an ihm, auch wenn er sie an eine bessere Zeit erinnerte. Sie saß auf einem der alten Sofas, die gleich, wenn man in die Stube kam, auf der rechten Seite über Eck standen. In der Ecke war ein eckiger, kleiner Tisch, auf dem ihr einziger Luxus stand, ein Radio. Vor den Sofas stand der Esstisch mit seiner Schublade, in dem sich zwei Schüsseln befanden. In ihnen wurde das Geschirr abgewaschen, denn fließendes Wasser gab es in diesem Haus nicht. Es musste aus dem Brunnen geholt werden und es standen immer vier Eimer mit Wasser im Flur. Da sie es leid war, zum Kochen auch im Sommer den Herd anzufeuern, hatten sie sich vor Jahren eine zweiflammige Gasplatte zugelegt, die nun zwischen Herd und Sofa stand. Der Nachteil dieser modernen Errungenschaft war, dass man immer die Gasflaschen auswechseln musste.
Gegenüber an der Wand stand ein alter Küchenschrank mit seinen Schubfächern und der Anrichte mit dem Oberschrank. Ein gemusterter Linoleumboden bedeckte den Holzboden und hielt etwas von der Kälte ab, die von unten kam. Auch der wurde einmal im Monat mit Bohnerwachs gewienert. Sie ließ sich nichts nachsagen, ihren Haushalt hielt sie in Ordnung. Als sie die schmucklosen Wände betrachtete, ging ihr durch den Sinn, dass im Sommer neue Tapeten nicht schaden würden.
Schon seit Tagen herrschte dicke Luft in diesem Raum. Er konnte es nicht nachvollziehen, dass seine Frau ihren Sohn immer wieder in Schutz nahm. Ihr einziger Sohn, der mehr Zeit mit dem Alkohol verbrachte, anstatt mit seiner Familie. Auch wenn er ihn teilweise verstehen konnte. Der Zweite Weltkrieg hatte vielen Männern das Rückgrat gebrochen. Aber ob die Flucht in den Suff eine Lösung war, wenn man Verantwortung für eine Familie hatte, das bezweifelte er. Auch er hatte diesen Krieg hautnah miterlebt und den davor in seiner Jugend. Gerne hätte er auf beide verzichtet.
Auch wenn sein Haar heller und weniger geworden war, so war sein Rücken noch nicht vom Alter gebeugt. Eine schwere Schussverletzung im Knie hatte ihn langsamer werden lassen und seine linke Hand war etwas steif durch die Folgen einer Kriegsverletzung geblieben. Aus dem letzten Krieg wurde er als Invalide entlassen. Er bezog eine gute Rente, die keinen Grund zum Klagen gab. Auch die Rente seiner Frau war nicht zu verachten und doch war sie es, die die Gelder zusammenhielt und ihm ein kleines Taschengeld zugestand. Manchmal fragte er sich, wofür sie das Geld hortete.
Er hörte das Quengeln der drei Kinder in den zwei Räumen unter dem Dach. Sein Sohn hatte es mal wieder vorgezogen, diesen Tag außerhalb des Hauses in einer Kneipe zu verbringen. Die Kinder waren sich selbst überlassen. Ihre Mutter lag seit drei Tagen im Krankenhaus. Wenn sie zurückkehrt, wird es einen Schreihals mehr in diesem Haus am Waldesrand geben. Seine Frau verstand sich mit der Schwiegertochter nicht gut. Dies erschwerte das Zusammenleben unter diesem Dach. Dabei hätte es ihnen allen gut gehen können.
Sie hatten nicht weit von hier einen Garten, in dem sie viel Arbeit steckten. Das Obst wurde eingeweckt. Aus den Beerenfrüchten wurde Marmelade gemacht. Aus dem Weißkohl entstand Sauerkraut. Die Gurken wurden im Fass eingelegt. Das Holz holte er aus dem Wald. Er war mit dem Förster befreundet, der ein Auge zudrückte. Die Kartoffeln bekamen sie umsonst von dem Bauern, auf dessen Hof dieses Haus stand. Dafür halfen sie bei der Ernte und lieferten auch den Dünger für das Feld in Form von Scheiße, die er sich zu gegebener Zeit von der Sickergrube ihres Plumsklos holte. Auch der Verbrauch des Wassers war kostenlos. Und das bisschen Stromgeld für die Glühbirnen, für das Radio. Kuhmilch und Eier wurden bei dem Bauern gekauft. Alles andere, was der Garten nicht hergab, besorgte man sich im Tante Emma Laden. Eine halbe Stunde Weg von hier und es war der Einzige weit und breit. Für Schuhe oder Socken musste man den Berg hinunter zur Straßenbahn, um mit ihr in die Stadt zu fahren. Diese Einkauferei überließ er seiner Frau.
Er war zufrieden, wenn er in seinem alten Stuhl am Fenster sitzen und die schneebedeckte Welt betrachten konnte. Manchmal kam das Rotwild bis zu der Kellertür. Genüsslich paffte er an seiner Pfeife. Die Kinder wurden lauter, sie hatten Hunger und müssten zum Plumpsklo. Dabei fiel ihm ein, dass er noch aus alten Zeitungen kleine Quadrate schneiden musste, denn das Papier zum Hintern abwischen war fast alle.
Seine Frau hatte sich erhoben und schmierte ein paar Stullen. In einem Krug füllte sie etwas Kuhmilch mit Carokaffee. Sie verließ die warme Stube, eilte über den kalten Flur und stieg die Holztreppe hinauf. Vorsichtig balancierte sie ihr Mitbringsel über die ausgetretenen Stufen. Die Kinder sahen sie schweigend an, als sie das hintere Zimmer betrat. Aus einem weißen Metalleimer kam ihr ein unangenehmer Geruch entgegen. Schuldbewusst stülpt der Junge den Deckel drauf. Bernd war sein Name. Die zwei blonden Mädchen waren Mary und Karina.
Die Kinder lagen angezogen zusammen im elterlichen Bett. Sie konnte es ihnen nicht verdenken, während sie die kalte Asche in der geöffneten Ofentür betrachtete. Ob der Junge mal wieder versucht hat, ein Feuer zu entfachen? Sie verteilte die Schnitten an den Kindern und sah sich im Vorderzimmer nach drei schmutzigen Tassen um. Schnell wurde sie in dem Durcheinander fündig und goss das noch fast heiße Getränk hinein. Zwei Räume waren zu beengt für eine fünfköpfige Familie. In Gedanken korrigierte sie sich. Bald würden es sechs sein. Als ob diese drei Kinder nicht schon genug wären.
Sie entfachte das Feuer im kleinen Kohleofen, während die Kinder ihre klammen Finger an den heißen Blechtassen wärmten. Vorsichtig nippten sie an dem Getränk. Da wird es wohl an ihr hängen bleiben, hier etwas Ordnung zu schaffen. Die alte Wiege musste aus dem Keller geholt werden. Da hätte ihre Schwiegertochter auch selber dran denken können. Zu ihrer Zeit war alles anders. Da hätte man sich so ein faules Lotterleben nicht erlauben dürfen. Wie verängstigt die Kinder sie ansahen. Sie hatte keine Bindung zu ihren Enkelkindern. Wie denn auch, bei den vielen unnötigen Streitigkeiten mit deren Mutter. Sie war die böse Oma. Sie konnte es nicht ändern. Dann war das halt so.
Und doch, wenigstens an diesen Tagen hätte ihr Sohn daheim bleiben sollen. Er überließ mal wieder seine Verantwortung den anderen. Wie so oft. Der Krieg hatte ihn sehr zum Nachteil ver-ändert. Aber dies würde sie niemals zugeben. Denn dies würde ihre Hoffnung zerstören, dass doch noch alles gut wird. Es reichte schon, dass der Winter hart war.
„Bernd, hole mir Wasser von unten.“ Sie drehte sich nicht um, als der Junge sich aus dem warmen Bett erhob, um ihren Befehl nachzukommen. Was sollte sie den Kindern sagen? Sie wussten, dass ihre Mutter bei dem Klapperstorch war. Sie mussten nicht wissen, wie es sich wirklich verhielt. Das würden sie noch früh genug erfahren. Zu ihrer Zeit bekam man die Kinder noch zu Hause. Krankenhaus? Eine neue Mode, die der Jugend den Kopf verdrehte.
Schweigend wusch sie das eingedreckte Geschirr ab, als das Wasser im Topf auf der Herdplatte heiß genug dafür war. In der Zwischenzeit hatte sie notdürftig Ordnung geschafft. Sie hatte den Jungen zu dem Opa geschickt, damit der die Wiege aus dem Keller holt. Schwer schnaufend brachte er sie ihr hoch. „Ich werde schon mal die Kartoffeln schälen.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich. Er hielt sich nicht gerne hier auf. Sie rief ihm noch nach, dass er ein paar mehr schälen sollte. Sie ließ sich nicht nachsagen, dass sie ihre Enkelkinder verhungern ließ. Wenigsten war das Bettzeug für die Kinderwiege schon bezogen. Was würde es diesmal sein? Ein Junge wäre nicht schlecht. Mädchen machen nur Ärger.
Seufzend schleppte sie den fast vollen Kloeimer nach unten und leerte ihn im Plumpsklo. Der Wind biss durch ihre Kleidung. Sie hätte sich noch etwas Wärmeres überwerfen sollen. Aber es war nicht weit und sie hatte keine Lust, in die Wärme der Wohnstube zu gehen, um sie dann wieder zu verlassen. Erleichtert schloss sie die Tür, als sie zurückkam. Den Eimer stellte sie vor den Stufen. Soll der Junge ihn nachher mit hinauf nehmen. Sie beschließt, dass es heute Sauerkraut und geräucherte Mettwurst zu den Stampfkartoffeln geben soll und zum Nachtisch selbstgemachtes Apfelmus. Sie rief die Kinder, als es so weit war.
Wie scheu sie an dem Tisch saßen. Schweigend stocherten sie mit der Gabel in dem Sauerkraut herum, machten lange Zähne. Die Jüngste, Karina, musste sie füttern, sie verteilte ihr zu viel von dem Essen neben dem Teller. Sie verkniff sich ihren Kommentar und dachte, dass der Hunger es schon rein zwängen würde. Sie mochte ihr Sauerkraut. Sie blickten auf, als ihr Vater in die Wohnstube kam. Durchfroren und fast nüchtern. Stillschweigend legte sie ihm einen Teller und Besteck hin. Hungrig fiel er über das Essen her. Jetzt, wo er da war, würde sie auch besser schlafen können.
Es wurde früh dunkel. Man sah die Hand vor Augen nicht, so dicht fiel der Schnee. Sie hörte den Wind um das Haus heulen. Die Winter waren schon immer rau gewesen. Es war der 24. November 1952. In einem Monat würde es schon wieder Weihnachten sein. Wenn sie sich im Spiegel betrachtete, fragte sie sich, wo all die Jahre geblieben waren. Viel Kummer und Leid hatten ihr Haar früh ergrauen lassen. Drei Ehemänner hatte sie zu Grabe getragen.
Als die Kinder wieder nach oben gegangen waren, blieb ihr Sohn noch einen Moment. Er sah sie nicht an, als er zu reden begann. „Ich war im Krankenhaus. Am 23. November um 21 Uhr 5o hat Maxi eine Tochter geboren. Es geht beiden gut. Sie kommen morgen nach Hause.“ „Ein Mädchen und wie soll es heißen?“ Er antwortete leise: „Margot, Lisa.“ Danach stand er auf und verließ seine Eltern. Er fühlte sich nicht wohl unter den vorwurfsvollen Blicken seines Vaters.
Am nächsten Tag fuhr er mit der Straßenbahn in die Stadt und holte seine Frau vom Krankenhaus ab. Die war nicht erbaut von dem langen Heimweg, wo man zum Schluss ein langes Stück laufen musste. Der Schneesturm war stärker geworden und erschwerte ihnen das Vorwärtskommen. Laut protestierte dieser neue Schreihals über das schlechte Wetter. Sie fuhren zurück mit der Straßenbahn und quälten sich im Schein einer Taschenlampe den Berg hoch.
Erleichtert schloss er die Tür des alten Hauses hinter sich, als sie zu Hause ankamen. Schnell trug er noch die Tasche in das obere Stockwerk und eilte ohne ein Wort davon. Den enttäuschten Blick seiner Frau konnte er nur ahnen. Ihm wurde dies hier zu viel.
Die Kinder dösten im Elternbett und so gönnte sie sich einen Moment der Ruhe. Auch der neue Nachwuchs hatte es vorgezogen zu schlafen. Vorsichtig legte sie das kleine Bündel in die Kinderwiege. Sie brauchte jetzt erst mal eine Zigarette.
Als der Säugling quengelte, nahm sie ihn hoch und schälte ihn aus der Kleidung. Ärgerlich rümpfte sie ihre Nase über die voll- geschissenen Windel. Noch mehr Arbeit, die auf sie zukam und das im Winter, wo alles so schlecht trocknete. Irgendwie konnte sie keine Bindung zu diesem Kind aufbauen. Sie wollte es nicht. Sie hatte genug mit den anderen zu tun. Weinerlich verzog dieses kleine Etwas das Gesicht und fing zu brüllen an. Sie hatte da jetzt keinen Nerv zu. Es war sauber. Es war satt. Es sollte gefälligst Ruhe geben und schlafen. Sein Geschrei weckte die anderen Kinder. Neugierig kamen sie zu ihr und und betrachteten den neuen Nachwuchs.
So zogen die nächsten Wochen an ihr vorbei, wo die Tage sich kaum voneinander unterschieden. Ihr Mann war kaum zu Hause. Wenn er da war, dann gab es oft Streit. Am liebsten würde auch sie alles hinwerfen.
Eines Tages stellte er sie vor der Tatsache, dass sie umziehen. Den Umzugswagen hatte er gleich mitgebracht. Sie war seine Frau und wurde nicht gefragt. Doch was hatte sie für eine Wahl mit vier Kindern?
Auch ich verließ dieses Haus, in das ich drei Jahre später zurückkehre. Irgendwann sind unsere Eltern in Hamburg gelandet und nahmen sich in einem Hotel ein Zimmer. Was dann geschehen ist, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben. Ob sie uns einfach nur im Suff vergessen haben oder mit Absicht zurückließen.
Die Polizei kam, das Jugendamt wurde eingeschaltet und wir wurden weggesperrt wie kleine Verbrecher. Zu der Zeit war ich in einem Kinderheim in Hamburg unter gebracht. Nur ist mir davon nichts im Gedächtnis geblieben. Ich war noch zu klein.
Von meiner zwei Jahre älteren Schwester Karina erfuhr ich viele Jahre später, dass ich nur gebrüllt haben soll, wenn ich nicht geschlafen habe. Da das Heim überfüllt war, musste sie ihr Bett mit mir teilen. Sie war es, die mich im Kinderwagen über die Flure schob.
Ich kann mich an einen Traum erinnern, wo ich auf einem Löwen über lange Flure ritt. Und mein Vater war der Direktor dieses Kinderheimes.
Und ich erinnere mich daran, dass ich lange mit dem Zug und der Straßenbahn gefahren bin. Ich hatte einen dunkelgrünen, langen Mantel mit Kapuze an und neue Schuhe. Tante Hetti, eine Tochter von Oma ist von Herdecke nach Hamburg gefahren und wollte Karina aus dem Heim zu Oma holen. Doch die war krank und damit sie den langen Weg nicht umsonst gemacht hat, nahm sie mich mit. So bin ich bei der Oma gelandet. Zwei Jahre jünger. Ich glaube nicht, dass die damals begeistert davon war, so vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Telefon war damals noch Luxus.
An die ersten Jahre bei ihr kann ich mich kaum erinnern. Nur kurze Momente. Die Eltern haben sich getrennt. Ab und zu kam der Vater mit einer anderen Frau zu Besuch. Ich mochte ihn nicht. Er war mir fremd. Und er hat mir nie etwas mitgebracht. Tun Väter nicht ab und zu so etwas? Keine Tafel Schokolade, nichts. Nur einmal, da hat er mir eine Puppe geschenkt. Heute denke ich, dass ich die mehr der Frau zu verdanken hatte. Irgendwann kam er alleine und dann wurden seine Besuche weniger und fielen ganz aus. Mir war es recht.